Schadensgeschichte

„Schloss Wiehe ist das hinsichtlich Schadensausbreitung am besten überwachte Objekt in Deutschland” – so heißt es in der Fachwelt der Denkmalpfleger. Zwar hat dieser Umstand für eine gewisse Berühmtheit des Schlosses gesorgt, doch ist das leider kein Grund, darauf stolz zu sein.

In Deutschland gibt es mehrere Regionen, in denen geologisch gipshaltiges Steinmaterial vorzufinden ist. So ist auch die Landschaft vom Südharz bis in die Unstrut-Region von gipshaltigen Materialien geprägt. Selbstverständlich wurde beim Bau von Gebäuden somit seit hunderten von Jahren auf dieses regional verfügbare Baumaterial zurückgegriffen. Zwar bestehen die zum Schlossbau verwendeten Steine überwiegend aus Sand- oder Kalkstein, doch der Mörtel der Mauern hat Gips als Bindemittel bzw. enthält gipshaltige Stoffanteile.

Zwei Fehler und mangelhafte Bauunterhaltung sorgten für eine Katastrophe. Trotz des Wissens um das Verhalten von Gips beim Zusammentreffen mit Zement wurde bei der ersten Sanierung des Schlosses zum Verpressen zementhaltiger Verpressmörtel verwendet – der eigentlich zweite Baufehler. Statt des Stabilisierens der schon zuvor gerissenen Mauern verschlimmerte sich der Bauzustand bis hin zur partiellen Einsturzgefährdung. Bis auf einen Bereich des Schlosses, der im Bauabschnitt 2012 in Angriff genommen werden soll, ist diese Gefahr jedoch glücklicherweise schon gebannt.

Verpressmörtellinse im Mauerwerksinneren
Handbreite Risse im Stützpfeiler an der Südwestecke des Schlosses
gerissenes Fenstergewände der Westfassade
Messeinrichtung zum Messen der Rissausbreitung am Schlossturm

Den ersten Baufehler, der zur Entstehung der meisten Mauerwerksrisse überhaupt geführt hat, haben jedoch bereits die Baumeister in der Vergangenheit bei Errichtung des Schlosses im 17. Jahrhundert und späteren Umbauten begangen. Bei der Sanierung im Jahre 2011, als der Seminarraum (Veranstaltungsraum) fertig gestellt worden ist, zeigte sich im Verlauf der Bauarbeiten, dass insbesondere hier in diesem Raum mehrfache unzureichende Sicherungsmaßnahmen unternommen worden sind. Der eigentliche Baufehler ist, dass über den Außenmauern des Erdgeschosses nur eine Fachwerkaußenwand von wesentlich geringerer Dicke errichtet worden ist, was zu einer nur einseitigen Belastung des Erdgeschossmauerwerks führte. Hinzu kam, dass die Deckenbalken nur lose auf diese Mauern aufgelegt worden waren. Es bestand demnach keine kraftschlüssige Verbindung, so dass die gesamte Außenwand über alle Geschosse als „freie Scheibe“ vor dem Gebäude stand. Spätestens beim Umbau im 19. Jahrhundert oder früher wurden zudem die Lasten auf die Erdgeschossdeckenbalken erhöht, als die Obergeschosse - durch Einbau von Wänden - Flure an den Hofseiten bekamen. Das führte zur Überlastung und somit zum Bruch der Deckenbalken. Dieser Schaden wiederum war durch den Einbau von Gurtbögen einigermaßen gesichert worden. Bei den Sanierungsmaßnahmen 2011 sind ausreichende Zuganker und Verstärkungen der Unterzüge eingebaut worden, so dass diese historischen Baufehler nun beseitigt sind. 

Der zementhaltige Verpressmörtel jedoch kann nicht mehr aus dem Inneren des Mauerwerksgefüges entfernt werden. Zement und Gips reagieren mit einander unter Bildung der Treibmineralien Thaumasit und Ettringit. Das erste Treibmineral führt zur lehmartigen Aufweichung des Gefüges, Ettringit entsteht unter Volumenvergrößerung. Innerhalb eines Langzeitversuches dreier Fachhochschulen (Erfurt, Oldenburg und Karlsruhe), das so genannte FH³-Projekt, wurde u.a. das Schloss messtechnisch dauerüberwacht und die Risseausbreitung in Abhängigkeit von Witterung und Jahreszeit somit dokumentiert. Zwar zeigten sich keine neuen Erkenntnisse über das Verhalten von Gips und Zement als das bereits bekannte Wissen, doch ein ganz wesentlicher Hoffnungsschimmer ist dabei gefunden worden. Für die Schadensausbreitung wesentlich ist das Vorhandensein von Wasser bis zur Sättigungsfeuchte, was infolge des mit dem Verpressmörtel eingebrachten Anmachwassers dramatisch eingetreten ist. Erst dann schreitet die Schadensausbreitung fort. Demzufolge ist das Reduzieren der Mauerwerksfeuchtigkeit eine wesentliche Aufgabe bei den Sanierungsmaßnahmen – und somit kann Schloss Wiehe für zukünftige Generationen auch uneingeschränkt erhalten werden.   

Forschungsbericht FH³-Projekt:
www.fh-oow.de/forschungsdatenbank/docs/Forschungsbericht_06082007122844.pdf

 

Anzumerken ist, dass das Schloss Wiehe das einzige der Forschungsobjekte ist, welches noch steht. Eine mutige, realistische und richtige Entscheidung aller am Planungs- und Bauprozess Beteiligten. Alle anderen Objekte sind abgerissen worden.


Text: Heiko Pludra – Architekt, Bau-Consult Hermsdorf 

(Hendrik Romstedt  Restaurator, Romstedt-Technologien für Restauratoren)